Der Dirigent, der von seinem Küchengarten träumt

8. August 2023

Das Lucerne Festival ist dieses Jahr dem Thema «Paradies» gewidmet. Der perfekte Anlass für uns, mit Dirigent William Christie über paradiesische Genüsse auf dem Teller zu philosophieren.

Es ist Anfang Juni, und William Christies Garten in der Vendée im Nordwesten Frankreichs steht in voller Pracht. Gerade hat der Dirigent Erbsen geerntet und einen ganzen Korb voll Artischocken. «Die Erbsen», sagt er, «sind so zart und fein, dass es ausser ein paar Flocken erstklassiger Butter und ein wenig Salz keine weitere Zutat braucht, um sie in ein fantastisches Gericht zu verwandeln. Die Artischocken werde ich à la barigoule zubereiten – mit Speck, Zwiebeln, Tomaten, Weisswein und Zitronensaft.»

Ein Mann der Kulinarik

Christie, das merkt man schon nach wenigen Sätzen, ist nicht nur ein Mann der Musik, sondern auch der Kulinarik. Als solcher liebt er natürlich die Düfte, die von der Küche aus durch das Haus ziehen: den von Bratäpfeln genauso wie jenen von Fleisch, das im Ofen brutzelt. «Bisweilen träume ich sogar vom Essen», gibt er zu. «Von den Pflanzen, die in meinem Küchengarten wachsen, von Rezepten, die ich ausprobieren könnte.»

«Custards habe ich als Kind sehr geliebt, daran hat sich bis heute nichts geändert.

Seine Liebe fürs Essen hilft Christie auch dabei, im Geist zurück in die Kindheit zu reisen. «Es sind vor allem die Desserts, die mich an die Zeit erinnern, als ich ein kleiner Junge war. Der Duft von cremigem Reispudding etwa nimmt mich sofort mit in die Vergangenheit, wenn jemand Eier und Zucker für Custards miteinander vermengt, schlägt mein Herz höher.»

Kulinarische Erlebnisse auf der ganzen Welt

Ein wichtiges Datum im Kalender des Künstlers ist das Festival Rendez-vous aux jardins in der ersten Juniwoche. Dann empfängt auch er Gäste in seinem weitläufigen Garten in der Vendée und bereitet Gerichte zu, die nicht nur dem Magen guttun, sondern mindestens so sehr auch der Seele. Eines dieser Gerichte ist die Brandade de morue, eine Spezialität aus der südfranzösischen Stadt Nîmes, die auf zerdrückten Kartoffeln, Kabeljau und Milch basiert, ein anderes langsam geschmortes Lammragout auf italienische Art mit viel Rosmarin. Italien zählt denn auch zu den Destinationen, die William Christie zu den «kulinarischen Paradiesen» rechnet. In einem ganz einfachen Restaurant in Mailand oder Genua das Tagesmenü zu essen oder an einem Familientisch zu sitzen, könne eine unheimlich beglückende Sache sein, findet er. Ein weiteres lukullisches Traumziel des Dirigenten heisst Japan. «Die Zubereitung der Speisen dort ist ebenso ein Stück Kultur wie ihre Präsentation und der Rahmen, in dem sie genossen werden.»

«Ich habe in Frankreich gelernt, auch mal nur für mich selbst zu kochen.»

Frankreich gehört für William Christie selbstverständlich auch in die Reihe der Länder, in denen das Bodenständige die Sinne fliegen lässt. «Die Frau eines Freundes aus Toulouse bereitet das beste Cassoulet zu, das man sich denken kann. Die Vorbereitung für dieses herzhafte Schmorgericht mit Bohnen, Rindfleisch, Rotwein, Gemüse, Zwiebeln, Knoblauch, Rosmarin und viel Thymian dauert eine ganze Woche», schwärmt er und fügt an: «Ich habe hier in Frankreich gelernt, auch einmal nur für mich selbst zu kochen. Frischen Fisch vom Markt zum Beispiel, von der Seezunge bis zur Rotbarbe.»

Der Star und die Sterneküche

So sehr Christie Brandade de morue, Sole meunière oder Cassoulet am Herzen liegen, so sehr schätzt er auch die Sternegastronomie. «Ich liebe es, in Paris im Hotel Bristol oder im Le Meurice zu essen und bei Guy Savoy, der mich tief beeindruckt. Auch die führenden Lokale Spaniens sind sehr aufregend, das Baskenland, Valencia oder Madrid kulinarische Destinationen der Extraklasse.»

Und wofür würde sich William Christie entscheiden, wenn er einen Monat lang nur drei Dinge einkaufen dürfte? «Kartoffeln wären auf jeden Fall dabei, sie machen satt und sind unheimlich vielseitig. Aus dem gleichen Grund würde ich Milch und Eier wählen.»

William Christie dirigiert am 4. September um 19.30 Uhr «The Fairy Queen» von Henry Purcell mit dem Ensemble Les Arts Florissants.

lucernefestival.ch


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