Wurstwelten
Die Wurst ist genauso lokales Kulturgut wie Nationalheiligtum. Eine Reise durch die Schweizer Wurstwelt – von der Saucisse aux choux bis hin zur Churer Beinwurst.
Als Genussmensch würde man sich sehr wünschen, in einem Ort namens Bière zu leben. Das Dorf im Kanton Waadt liegt kaum 15 Kilometer von der Grenze zu Frankreich entfernt. Zehn Kilometer sind es bis zum Genfersee. Doch nicht das Bier wäre der Grund, um sich hier kulinarisch wohlzufühlen, sondern vor allem die sehr speziellen Würste. Die Boucherie Ledermann liegt in der Dorfmitte in der Route du Marchairuz. Es ist die letzte Metzgerei in Bière und eine der letzten der gesamten Region – auch weil die Würste, die hier seit vier Generationen gemacht werden, so herausragend sind.
Marvie Ledermann ist ein durchtrainierter Mann mit schwarzen Haaren und Dreitagebart. Seit 2008 ist der heute 37-jährige Metzger im Familienunternehmen. Auch seine 31-jährigen Brüder, die Zwillinge Numa und Nelson, arbeiten Hand in Hand mit den Eltern Magali und Pierre-Michel. «Wir sind alle mit Würsten aufgewachsen», erzählt Marvie, «ein Wienerli in der Hand und dabei zuschauen, wie die Würste gemacht werden. Das ist ja auch eine Chance. Irgendwie war es klar, dass auch wir Metzger werden.» Im nächsten Jahr werden sie 100-jähriges Bestehen feiern. Wie das Fest aussehen wird, weiss man noch nicht. «Wir hatten noch keine Zeit, darüber nachzudenken», so Marvie, «es gibt zu viel zu tun.»
«Unsere Söhne sind für die Metzgerei ein Glücksfall», sagt Pierre-Michel Ledermann, «während andere Metzgereien keinen Nachwuchs haben und schliessen müssen, können wir alles am Leben erhalten.» Und auch die Rezepte werden von Generation zu Generation weitergegeben. Zum Beispiel die Boutefas, erklärt Marvie, eine Rohwurst und waadtländische Spezialität: 60 Prozent Magerfleisch, Salz Gewürze und Schweinespeck kommen hinzu. Alles wird klein gehackt, sieben bis acht Millimeter, und in den Blinddarm des Schweines gefüllt – wie in eine Tasche. Pro Boutefas wird ein Darm genommen. Da der Durchmesser des Blinddarms sehr viel grösser ist, braucht es für die Reifung mehr Zeit. «Daher kommen auch die Geschmacksunterschiede zu anderen Würsten wie etwa der Saucisson vaudois», so Pierre-Michel Ledermann, «auch die Form gibt der Darm vor.» So sieht die Boutefas gar nicht aus wie eineWurst, sondern eher wie ein knubbeliger Kinderkopf. Für zwölf Stunden wird sie nun in die Reifekammer gehängt, dann für weitere zwölf Stunden in den Rauch von Tanne und Buche – alles für die Farbe, den Geschmack und die Haltbarkeit.
Kabiswurst für die Franzosen
Eine weitere Spezialität aus Waadt und dem Hause Ledermann ist die Saucisse aux choux aus 40 Prozent gemischtem Magerfleisch, gekochtem und gepresstem Kabis sowie gekochter Schwarte. Alles wird in fünf Millimeter gehackt, die Schwarte in drei Millimeter, in einen Rinderdarm gefüllt und geräuchert. «Um die Saucisse aux choux auf traditionelle Weise zu essen», erklärt Marvie, «lassen Sie die Wurst zunächst für 25 Minuten bei 75 Grad gar ziehen. Dann schneiden Sie sie nicht in Scheiben, sondern in Stücke zwischen fünf und 15 Zentimetern. Den Darm nicht mitessen.»
Auch in französischen Supermärkten werden die ledermännischen Würste längst verkauft. Alleine 30 000 Kilo Saucisse aux choux sind es im Jahr, rund 75 000 Stück. Jede Wurst bekommt ihre eigene Nummer und das grüne IGP-Siegel. Das Schweinefleisch stammt von Züchtern aus der Region. Denn vor allem eines ist den Ledermanns wichtig: Qualitätsprodukte zu machen, die das Gesicht der Gegend zeigen. Auch ein Grund, warum die Rinder bereits seit 1995 selber gezüchtet werden. Es sind Parthenaise, eine rötlich braune französische Rasse mit schwarzblauer Nase und Aufhellungen an Bauch, Beinen und Maul. Das Fleisch ist feinfaserig, sehr zart und saftig. «Wir wollten eine bessere Qualität», erinnert sich Pierre-Michel Ledermann, «früher gab es fast nur Milchkühe, deren Fleisch nicht so gut geeignet war. Und die Parthenaise liefern ausserdem eine hohe Fleischausbeute.»
Zweizipfelheiligtum
Ja, wir wissen es alle: Ein Entrecôte ist kein Ersatz für Wurst. Wir alle wollen Wurst! Sogar Vegetarier und Veganer. Aber warum ist das so? Kulinarisch betrachtet ist sie ein kopfloses Monster – niemand weiss, ob es ein Vorne oder ein Hinten gibt. In vielen Ecken der Schweiz gilt sie aber als das Zweizipfelheiligtum. Die kulinarischen Unterschiede sind riesig, der Geschmack von Kanton zu Kanton vielschichtig. Alleine bei den Wurstnamen ist die Vielfalt grenzenlos: Das Tier, das Gewürz, der Ort, die Form, die Haut, die Konsistenz, die Farbe, das Herstellungsverfahren, die Zubereitungsart, die Organe. Es gibt keine wurstarme Region in der Schweiz, dafür aber unzählige lokale Spezialitäten (siehe Kantonswürste): Im Tessin getrocknete Eselwürste, in und um Biel die Treberwurst. Fast jeder Winzer veranstaltet dort Treberwurstessen. Es ist eine zunächst geräucherte Rohwurst aus Schweinefleisch, die im Brennkessel während etwa einer Stunde im Dampf des Tresterschnapses gegart wird und so ein spezielles Aroma erhält – für eine knappe Stunde liegen die Würste auf den dampfenden Traubenhäuten. Die in der Brennerei vorgegarte Wurst wird im Carnozet aufgewärmt, in Scheiben geschnitten und am Tisch in Marc flambiert. Als Beilage reicht man Kartoffelsalat, Kartoffelgratin, Bouillonkartoffeln oder einfach Brot.
Doch woher kommt diese Fülle an Wurst und die jahrhundertealte Tradition? «Die Schweiz und die Wurst haben eine ganz besondere Beziehung», weiss Andrea Kauer Loens vom Rätischen Museum in Chur, «es ist eine Liebesbeziehung. Das wird nur noch von den Deutschen getoppt, die pro Kopf noch mehr Würste essen.» Die Seele des Metzgers liege in der guten Wurst. Er beherrsche die Kunst, Wasser schnittfest zu machen. Eineinhalb Jahre hat sich die Historikerin mit der Schweizer Wurstvielfalt beschäftigt und die Ausstellung «Die Wurst – Eine Geschichte mit zwei Enden» kuratiert. Mindestens 400 Sorten soll es in der Schweiz geben, inoffiziell sicher sehr viel mehr. «Für unsere Grosseltern war die Wurst eher ein Armeleuteessen, für uns ist sie dagegen richtig trendy geworden.» Das Ansehen der Würste habe sich gebessert, ein Umdenken habe vor allem in den letzten Jahren eingesetzt. Selbst Spitzenköche wie Stefan Wiesner aus dem Entlebuch oder Georges Wenger aus Le Noirmont servieren hausgemachte Würste. Rebecca Clopath aus Lohn reicht eine würzige Innereienwurst mit Frischkäse, frittierter Brennnessel, Hundsrosenblüten, Hagebutte und einem Bretzeli. Und im Internet werden inzwischen Kurse über Kurse zum Selberwursten angeboten: «Überraschen Sie Ihre Liebsten mit selbst gemachten Würsten!»
Ein Stück Kultur geht verloren
Doch zurück zum Ursprung: Es gibt keine Wurst ohne Töten. Die Wurst hat mal gelebt. Das Töten ist allerdings erst der Anfang und das Einfachste, wie Metzger manchmal sagen. Schritt für Schritt verliert das Schwein seine ursprüngliche Gestalt. In kurzer Zeit werden aus einem Tier fein zerteilte, essbare Stücke. Alles, was schnell verderben und nicht haltbar gemacht werden kann, wie Blut, Innereien oder Fleischabschnitte, wird sogleich zubereitet oder schlachtwarm verwurstet. Die Därme werden gewaschen, der Dickdarm für die Blut- und Leberwürste, der Dünndarm für die Bratwürste und Schüblig.
Traditionelle Hausmetzgeten sind in der Schweiz allerdings kaum noch zu finden. Kontrollen vor der Schlachtung. Kontrollen während der Schlachtung. Kontrollen nach der Schlachtung. Die immer strengeren Hygienevorschriften machen es Bauern und Metzgern, die das Fleisch nicht für den Eigenbedarf nutzen wollen, kaum noch möglich, auf dem eigenen Hof zu metzgen. Da sie ihre Betriebsräume nicht in gekachelte Hightech-Schlachthäuser umbauen können, um den Richtlinien zu genügen, müssen sie die Arbeit an Grossschlachthöfe abgeben. Durch wirtschaftliche Interessen gehen nicht nur Tradition, Brauchtum und Handwerk, sondern eine ganze Kultur verloren. Seit den 1960er-Jahren hält auch das schweizweite Metzgerei-Sterben unvermindert an. Wo früher Metzgereien waren, finden sich heute Beauty-Salons. Oder das Geschäft steht leer. Metzger heissen nicht mehr Metzger, sondern «Fleischfachleute». Der Schlachtvorgang ist vollständig durchindustrialisiert und heisst «Fleischgewinnung». Die Mechanisierung und Automatisierung dienen aber einzig den grossen Betrieben, für welche die wenigen kleinen Manufakturen ein Stein im Schuh sind.
Blutwurst(en) ist die Königsdisziplin
Die treuen marmite-Leserinnen und -Leser erinnern sich gewiss an eine Titelgeschichte aus dem Jahr 2013, als es um Metzgete ging. Peter Bolliger, Mitglied im Verein zur Förderung des Ansehens der Blut- und Leberwürste (kurz: VBL), der sich in der Metzgete-Saison von Oktober bis März in ausgewählten Gasthöfen zu den schlachtwarmen Gaumenfreuden trifft, erzählte damals fast ehrfürchtig von der «wunderbaren Wurst», beinahe so, als spräche er von einem guten Freund. «Die Blutwurst», sagte er, «macht den Unterschied. An ihr zeigt sich, wie gut der Metzger sein Handwerk versteht. Sie ist die Königsdisziplin einer Metzgete.» Der Anteil an Schweineschmalz darf nicht zu gross sein. Auch zu viel Rahm überdeckt das typische Aroma. Je nach Grösse muss eine Blutwurst im 80 Grad heissen Wasser 20 bis 40 Minuten garziehen. Und nie darf sie schwarz aussehen, dann stimmt etwas mit dem Blut nicht. Die Farbe muss ein an Marroni erinnerndes Braun besitzen. «Das Beurteilen einer Blutwurst will gelernt sein», ist Peter Bolliger überzeugt. «Man muss an verschiedenen Metzgeten unter kompetenter Anleitung teilnehmen, um das Degustieren und Bewerten einer Blutwurst zu erlernen.» Wie setzt man den Schnitt an? Wann ist eine Blutwurst inhomogen, weil sie nicht lange genug gerührt wurde? Wann muss sie abgewertet werden? Alles nicht so einfach.
Vom Armeleuteessen zum Luxusprodukt
Andreas Heller ist Journalist beim «NZZ Folio». Jahrelang ist er auf der Suche nach der perfekten Wurst durch die Schweiz gereist. Es ist schon einige Zeit her, da hatte er die Idee: Er wollte die wurstige Vielfalt abbilden und dem besonderen Stellenwert der Wurst nachspüren. Eine Kolumne. Jeden Monat wollte er eine Wurst und ihren Metzger vorstellen. Er weiss noch, wie er in der Redaktionskonferenz sass und erste skeptische Blicke erntete. Andere aber fanden es originell. Also plante man ein Jahr und zwölf Würste. Dann wollte man weitersehen, wie sich die Sache entwickeln würde. «Die Leser waren sofort begeistert», sagt Andreas Heller. «Viele gaben Tipps, wo besondere Würste zu finden waren. Es kamen immer mehr zusammen. Bis dato hatte ich gar nicht gewusst, wie facettenreich die Schweiz in Sachen Wurst ist.» Die Kolumne lief und lief – mehr als vier Jahre lang. Am Ende hatte Heller über 50 Wurstportraits geschrieben. Er machte ein Buch daraus: «Um die Wurst».
«In der Schweiz vereinen sich die Einflüsse verschiedener Länder wie Italien, Frankreich und Deutschland zu einer wunderbaren Wurstlandschaft», erklärt der 61-Jährige, «hinzu kommen die Kleinräumigkeit, die Dialekte, die unterschiedlichen Traditionen in den diversen Kantonen.» Und fast schon als eine Art Charakterzug erlebte er durchweg warmherzige Metzger, die keineswegs dem Klischee des Grobschlächtigen entsprachen, die verinnerlicht hatten, dass ein Lebensmittel nur so gut sein kann wie das Leben des Tieres, das dafür sterben musste. Auf seiner Spurensuche wurde Heller allerdings auch Zeuge des Überlebenskampfes traditionell arbeitender Metzgereien. Er selber wohnt in St. Gallen, wo es früher zwanzig Metzger gab, heute sind es noch drei. «Es ist dramatisch», betont er, «die Leute kaufen ihr Fleisch fast nur noch beim Grossverteiler.» Mit den örtlichen Metzgern gehe allerdings mehr verloren als Qualität, regionale Rezepturen und die grosse Auswahl an der Wursttheke. «Inzwischen», glaubt Andreas Heller beobachtet zu haben, «erlebt die Wurst eine Renaissance. Früher war sie eine praktische Notwendigkeit, heute ist sie Luxus. Wir sind aber erst am Anfang. Wenn es um die Wurst geht, liegt noch viel brach, da wird sich noch einiges entwickeln, auch was besondere Kreationen angeht. Die Wurst liegt im Trend.»
Die wurstende Bäckerin
Dass auch ein Quereinstieg in das Wurstgeschäft gelingen kann, zeigt seit einigen Jahren Regina Gut aus Kriens im Kanton Luzern: Eigentlich schwebte ihr die Eröffnung eines Bäcker-Konditor-Geschäftes vor. Denn eigentlich ist sie Bäckermeisterin. Heute macht sie beides: Sie hat eine Bäckerei in Nidwalden und ein Metzgereifachgeschäft samt Wursterei in Kriens. Und längst macht die 40-Jährige Würste, die so gut sind, dass sie prämiert werden. Für ihre Weisswürstli, die Grill-Bratwurst, die Chili-Buurebratwurst und den Käse-Griller hat sie im vergangenen Jahr vier Goldmedaillen des Schweizerischen Fleischfachverbandes gewonnen.
Gegenüber der Bäckerei, bei der sie einst arbeitete, gab es eine Metzgerei, erzählt sie, die nach 60 Jahren schliessen wollte. Der Metzgermeister wollte in Rente gehen, führte sie vorher aber noch in das Handwerk des Wurstens ein. Fünf Monate lang. Er zeigte ihr alles, weihte sie in seine Rezepte ein. So konnten die Kreationen überleben. «Wursten ist nicht schwierig», sagt sie, «schwierig ist, die Qualität der Zutaten zu halten. Denn das ist das Wichtigste.» Bei der Verarbeitung müsse man vor allem darauf achten, die Temperatur bei maximal 14 Grad zu halten. Regina Gut macht verschiedene Rauch- und Bratwürste, darunter Klassiker wie Cervelat, Wienerli oder Weisswürste. Und selbst aus Nachbarkantonen wie Zug und Nidwalden reisen Kunden an, um sich die Grillspezialitäten zu sichern.
Zu Besuch bei Alois Schlager in Churwalden: 2007 übernahm er die dortige Fleischtrocknerei Bischofberger, die es schon seit 1950 gegeben hatte. Der Metzger sagte ihm damals, er sei zu alt und werde schliessen. Alois Schlager wollte das aber nicht einfach so hinnehmen. Er wollte den Betrieb am Leben erhalten. Und: Er wollte weiterhin gute Wurst essen. Er selber war Ingenieur der Feinwerktechnik, hatte aber schon vorher mit alteingesessenen Metzgern gewurstet und Fleisch getrocknet. «Wissen, das sonst verlorengegangen wäre», sagt der 61-Jährige heute. Dabei wollte er Wurst eigentlich nur nebenbei produzieren. Schnell merkte er aber, dass das so nicht funktioniert. Irgendwann war klar: Von nun an arbeitet er hauptberuflich als Fleischtrockner. «So wie wir Würste machen, lernt man das heutzutage nicht mehr. Es braucht eine Weile, bis man ein Gefühl dafür bekommt.» So arbeiten sie mit einem hydraulischen Kolbenfüller, nicht mit Vakuumfüller. Zusätze wie Nitrit sind tabu. Ihr Salsiz wird noch – wie vor 70 Jahren – traditionell im Holzmodell geformt und anschliessend mit Schweizer Hanfschnur abgebunden und zum Trocknen aufgehängt.
Auch das Rezept für die altbekannte Churer Beinwurst hätte der Metzger damals mit ins Grab genommen, hätte Alois Schlager nicht so hartnäckig nachgefragt. Früher war sie eine Gesindewurst, die nur die Abfälle der Schlachtungen enthielt. Auch heute ist sie noch immer deftig: Schweinsbrust, Schnörrli, Schwänzli, Nacken und Schwarte werden in Würfel geschnitten, mit Salz, Pfeffer, Koriander, Knoblauch und Muskat gemischt und für einige Tage in Veltliner eingelegt, dann in ein Kalbsbödeli gefüllt und mit einer Hanfschnur abgebunden. Zwei Stunden wird die Beinwurst bei etwa 30 Grad über Buche kalt geräuchert, dann für zwei Tage bei null Grad abgekaltet, vakuumiert und roh verkauft. Vor dem Verspeisen muss die Wurst daher drei bis vier Stunden bei etwa 80 Grad im Wasser gar gezogen werden.
Er rettet die Beinwurst
Einst, vor vielen Jahren, kam ein älterer Mann in sein Geschäft und sagte: Wenn man Pech habe, beisse man auf einen Knochen und die Zähne seien kaputt. Da sei auch zu viel Fett in der Wurst. Er müsse das Fett immer auf die Seite schieben. «Deshalb war die Beinwurst kaum noch gefragt», erzählt Alois Schlager. Er veränderte die Rezeptur, mischte etwas weniger Fett und keine Knochenstücke mehr bei, auch insgesamt wurden die Stücke etwas kleiner. Es dauerte fast vier Jahre, bis die Beinwurst wieder salonfähig war. Seitdem aber wächst die Fangemeinde wieder. «Früher war sie 700 Gramm bis ein Kilo schwer. Vier Personen teilten sich eine. Heute möchte jeder seine eigene, die kleiner ist und etwa 350 Gramm wiegt.»
Man kann hier wohl, ohne zu übertreiben, von einer Wurstrettung sprechen. Die Beinwurst hat – leicht verändert – überlebt. Und wer Beinwurst isst, muss auch sich selber ein Stück weit in Sicherheit bringen. Der erste Stich in die brühwarme Wurst kann gefährlich werden, da dieser meist ein Spritzen auslöst. Der dunkle Saft, der sich in der dann prallen Wurst beim Garen gebildet hat, schiesst mit Schwung heraus und hinterlässt dauerhafte Spuren. Doch Alois Schlager kennt einen Trick: «Man muss sich mit Brot schützen, dann bleibt die Kleidung sauber.»
Text: Oliver Lück
Bilder: Thomas de Monaco
Dreierlei Wurst
Brühwurst
Cervelats, Wienerli, Weisswurst, Salsiccia, Schüblig, Zungen- oder Schinkenwürste – die Mehrheit, der in der Schweiz produzierten Würste, sind Brühwürste, die hitzebehandelt sind und unter erneuter Zugabe von Hitze gebrüht, gebacken oder gebraten und dabei schnittfest werden. Beim Räuchern von Brühwürsten geht es auch um die Haltbarmachung, doch hauptsächlich um die Aromatisierung und allenfalls Färbung der Wurst.
Kochwurst
Kochwürste wie Sülzwurst, Blutwurst oder Leberwurst sind hitzebehandelte Waren, die aus rohen und anschliessend gekochten Zutaten wie Blut und Leber hergestellt werden. Ihre Schnittfestigkeit bildet sich durch erstarrtes Fett und geronnenes Leber- oder Bluteiweiss. Nach dem Abfüllen in Därme, Gläser oder Dosen werden die Würste erneut in heissem Wasser oder Wasserdampf durchgegart, einige Sorten im Anschluss geräuchert.
Rohwurst
Zu den geräucherten Rohwürsten zählen Landjäger, Pantli und Rauchsalami. Luftgetrocknete Rohwürste sind etwa der klassische Salsiz und verschiedene Formen der Salami. Bei der Reifung gehen Fleisch- und Fettgewebeteilchen durch gelöstes Fleischeiweiss eine Bindung ein. Rohwürste werden neben Salz mit Gewürzen wie Pfeffer, Senfkörner, Kardamom, Paprika und Macis aromatisiert.
Fleischlose Metzgereien
In Zürich hat bereits 2013 die erste Vetzgerei der Schweiz eröffnet: die Hiltl-Metzg – verkauft wird nur Veganes. Fleischalternativen wie Tofu, Seitan, Tempeh, Paneer oder Soja-Wurstwaren sowie Züri-Geschnetzeltes oder hausgemachtes Cordon bleu werden in dem Feinkostladen auch im Offenverkauf an der fleischlosen Theke angeboten. In den Niederlanden gründete der Landwirt Jaap Korteweg vor acht Jahren das Unternehmen «De Vegetarische Slager». Sein Sortiment ist riesig: Er stellt täuschend echte Hackbällchen, Bratwürste oder Aufschnitt her und exportiert mittlerweile europaweit.
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