Wurzelechte Reben
Sie haben wahren Seltenheitswert: Reben, die mit ihren Originalwurzeln im Boden stehen. Denn zum Schutz vor der Reblaus werden Weinstöcke normalerweise auf fremde Wurzelunterlagen gepfropft. Doch hier und da findet man noch ungepfropfte Exemplare. Und ihre Weine sind etwas ganz Besonderes.
Die Geschichte der Reblaus ist spannender als jeder Krimi. Sie begann in den 1860er Jahren, als der Schädling als blinder Passagier seinen Weg vom amerikanischen Kontinent nach Europa fand. Und damit nahm das Unheil seinen Lauf: Während die Reben jenseits des Grossen Teiches nämlich reblaustolerant waren – das heisst, Rebe und Laus pflegten eine freundliche Koexistenz –, hatten die Europäerreben dem Tierchen nichts entgegenzusetzen. Bis 1930 verwüstete der Schädling fast die Gesamtheit der europäischen Weinberge.
Die Lösung heisst Propfen
Zunächst sah es so aus, als liege die Lösung nah: Warum nicht einfach Wein aus Amerikanerreben keltern? Leider stellte sich dieser aber als ziemlich ungeniessbar heraus. So erfand man nach Jahrzehnten verzweifelter Experimente schlussendlich die Technik des Pfropfens: Europäische Edelrebsorten wurden auf amerikanische Wurzeln gepfropft, ein Verfahren, das man bis heute in leicht veränderter Form praktiziert.
Keine Chance der Reblaus
An einigen wenigen Orten auf der Welt, jedoch, wachsen noch wurzelechte Reben. Sie stehen auf Böden, mit denen die Reblaus nicht gut kann, etwa auf Stein wie dem Schiefer der Moselhänge, auf dem Sand der Camargue oder in Ascheböden wie am Ätna oder auf der griechischen Insel Santorini.
Die Wurzel des Unterschieds
Wie unterschieden sich nun wurzelechte Reben von ihren gepfropften Kollegen? Zum einen sind die Wurzeln anders beschaffen. Statt eines flachen, stark verästelten Wurzelgeflechts haben sie eine senkrecht in den Boden wachsende Pfahlwurzel – so ähnlich wie eine Karotte. Ausserdem berichten Winzer und Winzerinnen immer wieder, wurzelechte Reben wüssten sich besser an wechselnde Klimabedingungen anzupassen, «fast so, als hätten sie eine Gangschaltung». Beinahe immer ergäben die ungepfropften Stöcke die dichtesten, ausdruckstärksten Weine – doch das könne natürlich auch am Alter der Reben liegen. Klar ist: Weine aus wurzelechten Reben sind etwas ganz Besonderes. Hier stellen wir Ihnen einige dieser besonderen Exemplare vor. Sie sind Zeitzeugen, flüssige Geschichte, Weinkultur in Flaschen – kurz, etwas das jeder Weinfan unbedingt probiert haben sollte!
La grande classe: Les Vignes d’Autrefois 2019 Laherte, Champagne (F)
In der Nase lockt er mit Bratapfel, Orangenschale, Honig, Quitte und Röstbrot, am Gaumen zeigt er sich unglaublich animierend – straff, mineralisch, spritzig, die messerscharfe Säure wird umhüllt von reifer Frucht und edlen Röstnoten. Kraft, Rasse, Charakter, so schmeckt «la grande classe».
the-champagne.ch
Aus Asche geboren: Rumex 2019, Monteleone, Sizilien (I)
Aus einer wurzelechten Parzelle am Ätna stammt dieser umwerfende Nerello Mascalese. Granatrot funkelt er im Glas, verführt mit Noten von Sauerkirsche, Stein und Rauch, Kräutern und Blüten, etwas Nelke und diskreten Röstnoten.Extrem trinkig und doch voller Charakter.
gerstl.ch
Fast eine Mutprobe: El Titán 2019 Dominio del Bendito, Toro (E)
Ein Tempranillo aus teils über 100-jährigen Reben: tintiges Dunkelviolett, extrem würzige, konzentrierte Nase, duftet intensiv nach Brombeere, Heidelbeerkompott, Cassis und schwarzer Kirsche, dazu Tabak und kräftige Röstnoten. Im Mund ist er dunkelfruchtig, würzig, cremig und voller Schmelz. Nichts für Feiglinge.
globus.ch
Lebendige Tradition: Riesling Maximin Herrenberg 2021, Carl Loewen, Mosel (D)
Minimaler Eingriff, maximaler Ausdruck: Ihren Riesling aus der 1896 bepflanzten Lage Maximin Herrenberg keltert die Familie Loewen fast wie vor hundert Jahren. In der Nase Limette, Pfirsich, Mango und ein Duft wie von einem frisch polierten Silberlöffel. Am Gaumen wunderbar lebhaft, fruchtig und dicht mit herb-mineralischem Finale – ein nicht endender Trinkspass!
vinothek-brancaia.ch
Dieser Beitrag stammt aus der marmite Ausgabe «Mutter» und beinhaltet im Original noch viele weitere für Sie degustierte Weine aus wurzelechten Reben. Die Ausgabe können Sie in unserem Magazine-Shop bestellen.
Die Autorin: Britta Wiegelmann – Journalistin und Weinexpertin, ausgebildet an der Université de Bordeaux. Nach Etappen als Chefredaktorin der Zeitschrift «Vinum» und des «Gault&Millau Weinguide Deutschland» tut sie für marmite nun das, was sie am meisten liebt: ihre schönsten Weinentdeckungen teilen! Geniessen Sie Brittas Expertise sechs Mal im Jahr, ganz unkompliziert mit einem marmite-Jahresabo – und Sie profitieren erst noch vom Vorteilspreis.
Könnte dir auch gefallen
Neues Chefredaktions-Duo für marmite
Nov. 2024
Chefredaktor Alex Kühn verlässt das Genussmagazin. Neu zeichnen Benny Epstein und Sarah Kohler fürs marmite und fürs marmite professional verantwortlich.
Feiern Sie mit uns kulinarische Weihnachten!
Okt. 2024
Es ist wieder soweit. Vom 16. November bis am 22. Dezember 2024 erstrahlt unser marmite foodlab erneut und für ein letztes Mal in festlichem Glanz: Gerne laden wir Sie herzlich zu unserem Weihnachts-Chef’s-Table ein, an dem Sie die beiden Meisterköche Laurent Eperon und Niklas Oberhofer auf eine unvergessliche Genussreise mitnehmen.
Ein neuer Sternekoch in der youngster-Community
Okt. 2024
An der Präsentation des neuen Guide Michelin in Lausanne durften sich zahlreiche Mitglieder der marmite-youngster-Community über Auszeichnungen freuen. Ein früherer Teilnehmer unseres Nachwuchswettbewerbs schaffte erstmals den Sprung in den Kreis der Sterneköche.
Profis profitieren mit dem Kombiabonnement
Wir bieten Inhalt für Anspruchsvolle. Bestellen Sie noch heute Ihr Jahresabonnement!
Jetzt bestellen