Toller Hecht: Josh Niland
«Alles, was man mit einem Tier machen kann, funktioniert auch bei Fisch», meint der australische Koch und Autor von «The Whole Fish Cookbook». Mit der Verarbeitung von der Kieme bis hin zur Flosse plädiert Josh Niland für eine komplett neue Fischzubereitung.
Es ist 9 Uhr morgens im Osten Londons. Draussen heult der Wind und prasselt der Regen, drinnen geht der 31-jährige australische Koch Josh Niland ungeduldig auf und ab und wartet auf die Lieferung eines Fisches. Was die Fischsorte betrifft, ist er nicht besonders wählerisch, aber ein ausgezeichnetes Exemplar muss es sein, mit dem noch möglichst wenig herumhantiert wurde. Doch er weiss, dass dies viel verlangt ist: Immerhin ist es Montag, und bei den Stürmen vom Wochenende wagten sich wohl nur die unerschrockensten Fischer hinaus auf See. Daher bat Niland den berühmten Fischkoch Nathan Outlaw, bei dem er noch etwas gut hatte, über einen seiner Kontakte in Cornwall einen Fisch zu besorgen.
Kurz vor 10 Uhr wird ein stattliches längliches Paket geliefert. Niland packt es aus wie ein Kind ein Geschenk. Seine Augen beginnen zu leuchten: Es ist ein Wolfsbarsch, etwa fünf Kilo schwer. Die Schuppen – er nennt sie «Rüstung» – sind perfekt, sogar die transparente Haut der Flossen ist völlig intakt, und die hellen Glubschaugen scheinen einem durch den Raum zu folgen. «In London kriegen wohl die wenigsten Leute an einem Montag so einen Fisch», meint Niland. «Wir bekommen auch an einem Freitag keinen solchen. Doch wenn man der König von Cornwall ist …»
Niland liebt Fisch. Er liebt die anspruchsvolle Zubereitung. Er liebt es, dass die meisten ihn schwierig zu kochen finden. Er liebt es, dass viele Mühe damit haben, Fisch zu essen, weil sie der Geruch, die Textur oder der Gedanke, dass Fisch irgendwie «feminin» sei, abschreckt. Er liebt es, dass sogar Leute, die Fisch mögen, das Weite suchen, wenn man ihnen beispielsweise Kopfterrine oder eine Vorspeise aus Fischaugäpfeln serviert. All dies verleiht seiner Arbeit mehr Bedeutung, macht sie wesentlich. Seit 2016 stellt Niland althergebrachte Ansichten mit seinem 34 Gäste fassenden Restaurant Saint Peter in Sydney und seinem Geschäft Fish Butchery, das sich gleich ein paar Häuser weiter befindet, infrage. Für den Rest der Welt betreibt er einen super stylishen Instagram-Account. Ausserdem hat er nun das massgebliche und aufschlussreiche «The Whole Fish Cookbook» veröffentlicht.
Aus Respekt dem Fisch gegenüber
Niland, mit jungenhaften Gesichtszügen und einem braunen Haarschopf, streift schwarze Latexhandschuhe über, die sein Markenzeichen geworden sind. «Mit schwarzen Handschuhen und 13 Messern wirke ich vielleicht schon etwas Dexter-mässig», gibt er zu. Während der folgenden Stunde «seziert» er den Wolfsbarsch sorgfältig, entfernt erst mit grosszügigen Bewegungen die Schuppen, widmet sich dann dem Kopf, entwirrt liebevoll die Eingeweide und schneidet schliesslich wie noch so nebenbei die Filets. Laut Schätzungen werden nur 43 Prozent aller in Grossbritannien gefangenen Fische und Schalentiere von Menschen gegessen, die Gräten, Köpfe und Innereien werden entweder weggeworfen oder zu Fischmehl verarbeitet. Im Saint Peter und in der Fish Butchery ist Nilands Ziel, jeweils 90 Prozent zu verwerten. Das ist eine radikale, jedoch bedeutsame Idee in einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Food Waste bei Entscheidungen in Sachen Essen eine wichtige Rolle spielen. Und Niland wartet mit originellen Vorschlägen auf, was man mit Fisch alles anstellen kann. Sein Kochbuch enthält ein Rezept namens Fish Kiev für einen King-George-Wittling, aus welchem flüssige Knoblauchbutter fliesst. Ein weiteres Beispiel ist der heissgeräucherte Fisch-Turducken, für den Niland eine Meerforelle im Schmetterlingsschnitt mit einem Dorsch und diesen wiederum mit einem Thunfisch-Rückenfilet füllt. Weiter gibt es noch Black Pudding, Schwertfischspeck, Guanciale aus Ober- und Unterbacken oder Pastrami aus wilder Gelbschwanzmakrele (mit Alternativvorschlägen für Fisch-
arten aus dem Atlantik). Die Zahl der Desserts ist momentan noch begrenzt, aber die Schoko-Karamell-Schnitte mit Fischöl ist bereits ein Saint-Peter-Klassiker.
Man könnte denken, dass Nilands ungewöhnlicher Ansatz die Geister scheidet, doch die Foodwelt ist selten einmütig. Jamie Oliver nennt «The Whole Fish Cookbook» ein «umwerfendes Meisterwerk» und gab anlässlich der Buchveröffentlichung im Oktober in London eine Party; Nigella Lawson hält Niland für «ein Genie». Auch die Spitzenköche sind voll des Lobes: Sowohl René Redzepi vom Noma als auch Grant Achaz vom Alinea in Chicago beschreiben ihn als «inspirierend». Für Outlaw, der 20 Jahre seines Lebens der Fischzubereitung gewidmet hat, bringt Niland nichts weniger als einen völligen Paradigmenwechsel. «Josh hat sich die herkömmlichen Fischzubereitungsarten vorgenommen, die schlechten rausgeschmissen und den Rest auf den Kopf gestellt», meint er. Einige dieser Aussagen sind in einem glänzenden Goldband auf dem Buchcover aufgedruckt. «Ziemlich offensiv, nicht wahr?», grinst Niland.
Von der Kieme bis zur Schwanzflosse
Nilands Arbeit wird oft mit jener von Fergus Henderson verglichen, der als Erster Schwein, Schaf und Rind from nose to tail servierte, als sein Restaurant St. John 1994 eröffnete. Das ist ein grosses Kompliment, doch Niland möchte schlussendlich eine ähnliche Wirkung erzielen. «Ja, ich denke, vor 25 Jahren wurde wohl dasselbe über Fergus gesagt», meint er. «Damals gab es bestimmt viele avantgardistische Köche, die den Kreismittelpunkt eines Rindsfilets rausschnitten, mit 12 verschiedenen Pilzen servierten und das als Nonplusultra feierten. Dann kam Fergus und legte gänzlich unverfroren einen Ochsenschwanz mit einer Gabel drin auf den Teller oder einen Markknochen mit einem Toast daneben. Es war kein Mittelfinger ans System, sagte aber deutlich: ‹Vergesst nicht, dass es all das auch noch gibt …›» «Denn wenn ein Tier getötet wird, ein Fisch getötet wird, dann muss man sich bemühen, alles davon zu verwenden», fährt er fort. «Das ist simple, grundlegende Logik.»
«In Zeiten von globaler Überfischung die Logik von Fisch nicht verstehen zu wollen, ist für mich unverständlich.»
Wenn Niland getrieben oder gar missionarisch erscheint, so hat dies einen Grund. Zwei Tage nach seinem 8. Geburtstag entdeckte seine Mutter einen Knoten unter seinem Brustkorb. Es handelte sich um einen Kinderkrebs namens Wilms-Tumor, und er wuchs schnell. «Es ist nun 23 Jahre her, dass ich Krebs hatte», erinnert er sich, als wir uns treffen. «Ich musste meine rechte Niere entfernen lassen, ich bekam eine Strahlentherapie, ich hatte 18 Monate Chemotherapie, und als junger Mann war das ziemlich beängstigend. Das hat mich beeinflusst, denn es war ein grosser Rucksack, so jung denken zu müssen: ‹Nun, das kann schnell böse enden. Wenn ich also etwas will, dann hol ich es mir›.»
Niland wuchs in Maitland auf, einige Autostunden nördlich von Sydney im Hunter Valley. Sein Vater hatte eine Treuhandfirma und seine Mutter half bei administrativen Aufgaben. Die Familie interessierte sich nicht speziell für Essen, und bestimmt nicht für Fisch: Niland erinnert sich, dass er als Kind traumatisiert war, als seine Schwester beinahe an einer Fischgräte erstickte. Doch das änderte sich allmählich, während er sich vom Krebs erholte. «Essen war ein Trost in der Zeit, in der ich krank war, ein Vergnügen, auf das ich mich sehr freute», erzählt Niland. «Meine Begeisterung fürs Kochen entstand, als ich 13 oder 14 Jahre alt war und die Gelegenheit hatte, mit meiner Mutter im Lebensmittelladen Zutaten zu kaufen, daheim für alle eine Mahlzeit zu kochen und zu sehen, dass es ihnen richtig schmeckte. Mir gefiel die Grosszügigkeit an der Zubereitung von Essen.»
Niland verliess die Schule, sobald er konnte, zog nach Sydney, gab Gas und pickte sich die Rosinen heraus, als es darum ging alles zu lernen, was er brauchte, um eines Tages sein eigenes Restaurant zu eröffnen. Besonders beeinflusst hat ihn seine Zeit bei Fish Face. Der dortige Chef Stephen Hodges war etwas neurotisch, was die Handhabung von Fisch betraf: Er war überzeugt, dass Kontakt mit Wasser möglichst vermieden werden sollte. Einerseits wegen des Geschmacks – bei einem nassen Fisch ist es schwieriger, die Haut knusprig zu bekommen –, aber vor allem wegen der Haltbarkeit. Nasser Fisch, so glauben sowohl Hodges als auch Niland, weist mehr Bakterien auf und verdirbt daher schneller.
«Ich finde diese Geschäfte, die Fischfilets auf Eis legen, einfach grotesk», sagt Niland. «Ich versteh’s nicht. Ich sehe nicht ein, warum jemand mit einem Schlauch dasteht und den Fisch anspritzt, damit er nass aussieht, weil das vermitteln soll, dass er frisch ist und direkt aus dem Wasser kommt. Das ist absurd.»
Eine weitere Ausbildungsstation war die Entwicklungsküche des Fat Duck, wo er als 22-Jähriger drei Monate arbeitete. Als Niland dort anfing und man ihm mitteilte, dass er am Kochbuch «Heston Blumenthal at Home» mitarbeiten würde, war er nicht sonderlich begeistert. «Es lag wohl am Ego, das man mit 22 hat, aber ich fand das ganz furchtbar», erzählt er und lacht. «Ich dachte mir: ‹Im Ernst? Jetzt bin ich so weit geflogen, nur um an einem Kochbuch für zu Hause zu arbeiten?› Ich wollte Schneckenporridge und Eis mit Rührei/Speck-Geschmack machen.»
Mehr als nur Filet
Doch schliesslich führte der wissenschaftlich geprägte Ansatz des Fat Duck dazu, dass Niland alles infrage stellte, was er über Kochen zu wissen glaubte. Blumenthal stellte ihm jeden Donnerstag Aufgaben für die Woche, zum Beispiel zu lernen, wie man ein Ei richtig pochiert, oder herauszufinden, warum eine Zitronentarte Risse bekommt. In der folgenden Woche hatte er jeweils zu berichten, wie es gelaufen war. «Sie hinterfragen einfach alles», sagt Niland. «Keine Frage ist zu dumm, um sie zu stellen.» Was Niland aus dieser Erfahrung zog, sieht man an verspielten Elementen der Saint- Peter-Speisekarte. Da gibt es beispielsweise ein Gericht, das wie ein Geleedonut aussieht, bei dem es sich aber um einen geräucherten Aal mit Randenmarmelade handelt. (Übrigens hat Niland kürzlich Blumenthals Regel übernommen, dass alle Männer in seiner Küche glatt rasiert sein müssen.)
Seit der Eröffnung des Saint Peter treibt Niland seine Experimente immer weiter voran. So hat er beispielsweise eine Leidenschaft für Dry Aging entwickelt: Er lässt Fisch in einer trockenen Umgebung bei niedrigen Temperaturen reifen, um den optimalen Geschmack herauszuarbeiten. Dabei experimentiert er mit verschiedenen Fischsorten (bei Mittelmeermakrele, Thunfisch und Schwertfisch scheint die Methode am besten zu funktionieren) und mit der Dauer (etwa 20 Tage scheinen das Maximum zu sein). Und kaum einer hat sich – zumindest in der westlichen Kochwelt – so viele Gedanken darüber gemacht, wie man Fischinnereien verwenden könnte. «Die Gallenblase muss ich noch in den Griff bekommen», sagt er mit gequältem Gesichtsausdruck.
«Die Fischzunge überfordert viele Menschen. Wir servieren sie frittiert als Snack.»
Doch für viele ist er bereits zu weit gegangen, als er seinem Geschäft den Namen Fish Butchery – Fischmetzgerei – gab. «Ich habe viele E-Mails und Nachrichten erhalten und bekomme immer noch welche, in denen steht, wie blöd der Name sei und dass man ein solches Geschäft nicht Fischmetzgerei, sondern Fischladen nennen sollte», so Niland. «Doch ich bin nun mal der Meinung: Alles, was man mit einem Tier machen kann, funktioniert auch bei Fisch. Das geht, ob bei einem Schwertfisch, der wie ein T-Bone-Steak aussieht, oder einem Wolfsbarsch-Schnitzel mit einem kleinen, glatten Knochen dran, oder einer schönen panierten Rotbarbe im Schmetterlingsschnitt.»
Man fragt sich vielleicht, inwiefern Nilands Erkenntnisse auch für den abenteuerlustigsten Hobbykoch von Nutzen sind. Wie können wir zum Beispiel beim Fischkochen zu Hause ein besseres geschmackliches Ergebnis erzielen? «Nehmen Sie den Fisch einfach aus dem Plastik, aus dem Papier, und legen Sie ihn auf einem Kuchengitter in den Kühlschrank», sagt er. «Lassen Sie den Ventilator etwas darüber blasen, damit die Haut austrocknet. Wenn Sie den Fisch dann zubereiten, werden Sie sehen, dass die Haut so viel schöner zum Kochen ist, ob Sie den Fisch nun backen, schmoren oder in der Pfanne braten. Und Sie werden merken, dass der Fisch weniger riecht.»
Niland möchte eindeutig die Welt verändern – oder zumindest, wie Fisch verkauft wird und wie wir ihn zu Hause und in Restaurants essen. Keine leichte Aufgabe, und man spürt, dass er das weiss. Er wirkt zwar zielstrebig und unbeirrbar, doch als er 2016 den Mietvertrag fürs Saint Peter unterzeichnete, geschah etwas Seltsames: Es hätte der glücklichste Tag seines Lebens sein sollen, das Ergebnis von 14 Jahren harter Arbeit, doch plötzlich war er überwältigt. «Offen gesagt, ich erbrach mich im Büro meines Anwalts in einen Eimer, denn ich konnte nicht glauben, was ich gerade getan hatte», erinnert sich Niland. «Seit ich koche, wollte ich mein eigenes Restaurant, doch mir war nicht bewusst, dass dies bedeutet, persönlich Papiere zu unterzeichnen, die mir höchstpersönlich die grosse Verantwortung für den Erfolg oder das Scheitern des Geschäfts übertragen. Daher überkam mich auf einmal diese Welle des Unbehagens.» Niland hält inne, überlegt vielleicht, was er in nur drei Jahren erreicht hat, und fügt trocken hinzu: «Aber es hat ganz gut geklappt.»
Text: Tim Lewis/Guardian News & Media
Bilder: Rob Palmer (The Whole Fish Cookbook)
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