Tour de Romandie Vol. 4 – Samuel Destaing

6. Oktober 2020

In Zeiten von Corona das eigene Land entdecken und dabei innere Grenzen überwinden: Das war das Ziel, als marmite diesen Sommer zum Sprung über den Röstigraben ansetzte und sich in der Westschweiz mit vier Spitzenköchinnen und -köchen zum Gespräch traf. Die vierte und letzte Etappe führte ins Wallis zu Samuel Destaing, dem französischen Chef der Régence-Balavaud in Vétroz.

Hinweis: Den ausführlichen Bericht über den Kulinarik-Abstecher von marmite in die Romandie finden Sie in der Ausgabe 5 2020 (am Kiosk oder im Abo erhältlich).

Samuel Destaing, wissen Sie, wann die Régence-Balavaud erstmals eröffnet wurde?

Genau weiss ich es nicht, aber das Restaurant gibt es schon über 30 Jahre. Ich selbst bin erst seit zwei Jahren hier. Genau gesagt habe ich am 4. Juli 2018 hier übernommen

Wieviele Plätze hat es in Ihrem Restaurant?

Wir haben Platz für 50 Gäste.

Haben Sie auch Hotelzimmer?

Ja, allerdings nur drei, und eines davon ist eine Suite für vier Personen.

Wieviele Mitarbeiter arbeiten in Ihrem Betrieb?

Wir sind zwölf. Zwei davon arbeiten in der Weinbar. Und fünf in der Küche.

Wie steht es denn bei Ihnen mit Punkten und Sternen?

Wir haben einen Stern von Michelin. Und 17 GaultMillau-Punkte.

Haben Sie weitere Auszeichnungen und Mitgliedschaften?

Wir sind Mitglied bei Les Grandes Tables de Suisse und bei der Chaîne des rôtisseurs Bailliage de Suisse. Am meisten stolz bin ich aber auf die Auszeichnung Mérites culturels der Gemeinde Orsières, wo ich vorher über 20 Jahre gearbeitet habe.

Wie kamen Sie eigentlich ins Wallis?

Ich stamme ursprünglich aus Frankreich, wo ich in der Nähe von Besançon aufgewachsen bin. Zur Gastronomie gekommen bin ich durch meinen Vater. Nach der Grundschule habe ich eine Hotelfachschule absolviert. Die erste Stelle in der Gastronomie bekleidete ich in England. Anschliessend arbeitete ich kurz im Elsass, bevor ich ins Militär eingezogen wurde.

Danach ging ich in die Champagne, wo ich im Luxushotel La Briqueterie in Vinay (unweit von Éparney) tätig war. Und von hier aus kam ich dann in die Schweiz, wo ich 1998 in Orsières im Restaurant Les Alpes angefangen habe. Dort bin ich über 20 Jahre geblieben.

Was waren denn ihre wichtigsten Stationen bisher?

Meine wichtigste Etappe war auf jeden Fall Orsières. Ich war erst 25, als ich dort als Entremetier angefangen habe. Schnell wurde ich Garde manger, wechselte danach in die Pâtisserie und bekam die Möglichkeit, Chef zu werden. Nach einigen Jahren bekam ich die Chance, das Haus in meinem Namen zu führen.

2018 wechselte ich dann hierher nach Vétroz. Die Lage ist sehr gut, nur jeweils zehn Minuten von Martigny und Sitten entfernt. Die Weinbar ist sehr wichtig als Anziehungspunkt. Ich bin für die Gastronomie und die Beherbergung der Gäste verantwortlich. Es ist ein ganz anderes Leben als vorher. Aber es gefällt mir hier sehr gut. Ich habe einfach eine Seite in meinem Lebensbuch umgeblättert.

Was sind Ihre wichtigsten Ziele in nächster Zeit?

Mein Ziel ist überall und zu jeder Zeit das gleiche: Ich will die Augen meiner Gäste zum Strahlen bringen. Mit unserem Essen. Mit unseren Weinen. Und allem Drumherum.

Und was machen Sie so in Ihrer Freizeit?

Ich spiele gerne Squash, laufe Ski und fahre Velo.

Und privat, wie sind Sie da aufgestellt?

Mein Zivilstand ist «in Bälde verheiratet». Nächstes Jahr ist die Hochzeit mit meiner Partnerin geplant. Ich tat mich da immer etwas schwer. Nun ist der Zeitpunkt gekommen.

Haben Sie Kinder?

Ja, einen 13-jährigen Sohn.

Wie würden Sie Ihre Küche in drei Sätzen beschreiben?

Für mich sind die lokalen Produkte das A und O. Ausserdem soll das Auge mitessen. Ästhetik ist mir also ein sehr grosses Anliegen. Und ich will immer kreativ bleiben dürfen. Deshalb erneuere ich täglich unsere Karte.

Und Ihre persönliche Philosophie, wie lautet die?

Ich sehe meine Arbeit hier als Engagement, das jeden Tag neu definiert wird. Wir müssen immer das Beste geben für unsere Gäste, und das zweimal am Tag. Dabei ist es mir wichtig, dass ich als Chef mein Wissen und meine Erfahrung weitergeben kann an meine Mitarbeiter.

Wer ist der wichtigste Mensch für Sie in Ihrem Betrieb?

Das ist klar der Chef de Service. Du musst wie ein Ehepaar funktionieren. Jedes Restaurant braucht zwei starke Köpfe, einen in der Küche, den anderen in der Gaststube. Bei uns ist das Anthony Marraco.

Was bereitet Ihnen bei Ihrer täglichen Arbeit am meisten Spass?

Ich mag es, mit extrafrischen Produkten zu arbeiten. Ausserdem mag ich es sehr, neue Rezepte zu entwickeln. Ich stelle sie mir vor, geschmacklich und auch von der Anrichte her. Dann geht es an die Kreation.

Und was stresst Sie am meisten?

Das sage ich doch keinem Journalisten (lacht). Nein, im Ernst. Es braucht viel, bis ich wirklich gestresst bin.

Welches sind Ihre Koch-Vorbilder?

Ich habe keine beruflichen Vorbilder. Sehen Sie, ich bin Autodidakt. Ich war 20 Jahre lang in Orsières in meiner eigenen Welt. Dabei habe ich nicht auf andere geschaut, sondern einfach mein Ding durchgezogen. Wenn man das liebt, was man macht, kommt der Erfolg von alleine.

Was kochen Sie am liebsten?

Wenn man sich wie ich jeden Tag neu erfinden muss, hat man kein Leuchtturm-Rezept. Aber ich bereite sehr gerne Wild zu. In Orsières hatten wir nicht weniger als elf Jagdgruppen. Sie kamen alle zu mir, damit ich ihnen das Wild zerlegte. Ich bin ein absoluter Purist, wenn es ums aus der Decke schlagen und ums Zerwirken geht. Und ich koche natürlich auch sehr gerne Wild.

Und für wen kochen Sie am liebsten?

In erster Linie für meine Gäste. Und in den Ferien, aber wirklich nur dann, auch manchmal für Freunde.

Welches Food Pair matcht für Sie am allerbesten?

Ich habe heute ein Gericht auf der Karte mit Himbeere, Basilikum und Mandeln. Das passt sehr gut, finde ich.

Wir Franzosen sprechen aber lieber von der «mariage» und denken dabei nicht nur an eine Geschmackskombination, sondern vielmehr an das grosse Ganze. Wenn mir ein Teller aufgetischt wird, muss er zunächst mein Auge erfreuen. Wenn ich das Gericht verzehre, braucht es ausserdem die Kombination von drei bis maximal fünf starken und guten Geschmäckern. Hinzu sollte eine gelungene Mischung von unterschiedlichen Texturen kommen. Nur wenn all das gut «vermählt» wird, ist auch das Gericht gut.

Was ist Ihr persönliches Lieblingsgericht?

Ich liebe alles, was typisch elsässisch ist. Ausserdem grosse Fische. Und alle Gerichte, die mit Liebe zubereitet wurden.

Und was Ihre Henkersmahlzeit?

Ein Güggeli vom Grill.

Welchen Geschmack/welches Gewürz mögen Sie überhaupt nicht?

Anis. Und alles, was ähnlich wie Anis riecht.

Was ist Ihr Signature Dish (oder für welches Gericht kommen Ihre Gäste extra zu Ihnen)?

Mein Gäste kommen nicht wegen eines bestimmten Rezepts, sondern für das gesamte Angebot. Früher war die Régence bekannt für ihre Klassiker, die immer gleich zubereitet wurden. Heute müssen meine Gäste offener sein, weil ich meine Karte regelmässig ändere. Ich behalte zwar die gleichen Teller, entwickle sie aber stets weiter. Ich will nicht stehen bleiben. Und ich möchte auch nicht, dass meine Gäste stehen bleiben müssen. Bei mir ist alles Evolution. In Bewegung. Ein Prozess.

Ich möchte, dass für meine Gäste die Zeit stoppt, während sie hier sind. Ich will, dass sie ein Gesamterlebnis geniessen und sich dabei wie in den Ferien fühlen können.

Ist Ihre Küche abhängig vom Ort, an dem Sie kochen?

Nein, einmal abgesehen von den lokalen Produkten, die ich verwende. Ich koche eh nur, was ich selber gerne mag. Es ist der Chef, der seine Aura in ein Lokal bringt. Diese Verbindung macht den Charakter eines Restaurants aus – natürlich nur, wenn auch das Team mitzieht. Sonst geht es nicht.

Und möchten Sie irgendwann noch an einem anderen, ganz bestimmten (Sehnsuchts-)Ort leben und arbeiten?

Ich könnte mir vorstellen, in Korsika zu arbeiten. Oder in Apulien. An diesen Orten gibt es eine ganz spezielle, ich würde sagen «krude» mediterrane Küche, die ich erst kürzlich kennengelernt habe und die mir sehr zusagt. Aber obwohl ich gerne Motorrad fahre, reise ich nicht besonders gerne, schon gar nicht mit dem Flugzeug. Deshalb werde ich wohl noch etwas länger hierbleiben.

Welche nationale oder regionale Küche mögen Sie denn am liebsten?

Die französische, die elsässische und eben auch die mediterrane Küche.

Und was war Ihr grösstes Highlight in Ihrer bisherigen Karriere?

Mein schönstes Erlebnis in einer Küche war, als ich diesen Ort für mich entdeckte. Ich war 15 Jahre alt, der Sohn eines Metzgers. Und mein Vater schickte mich in den Ferien in ein Restaurant im Elsass, um dort etwas Geld zu verdienen. Dort hat es mir dann so gut gefallen, dass ich Koch werden wollte. Dank meinem Vater, der ganz andere Absichten hatte, habe ich also meine Passion entdeckt. Das war und ist noch immer wunderbar.

Interview: Philipp Bitzer
Bilder: Salvatore Vinci


Régence-Balavaud

Route Cantonale 267
1963 Vétroz
Tel. +41 27 346 69 40
reservation@regence.ch
regence.ch

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