Tour de Romandie Vol. 2 – Jérémy Desbraux
In Zeiten von Corona das eigene Land entdecken und dabei innere Grenzen überwinden: Das war das Ziel, als marmite diesen Sommer zum Sprung über den Röstigraben ansetzte und sich in der Westschweiz mit vier Spitzenköchinnen und -köchen zum Gespräch traf. Die zweite Etappe führte in den tiefsten Jura zu Jérémy Desbraux, dem 34-jährigen Chef der Maison Wenger in Le Noirmont.
Hinweis: Den ausführlichen Bericht über den Kulinarik-Abstecher von marmite in die Romandie finden Sie in der Ausgabe 5 2020 (am Kiosk oder im Abo erhältlich).
Jérémy Desbraux, wie alt sind Sie?
Ich bin 34 Jahre alt. Also genau im richtigen Alter, um selbstständig zu sein.
Wie lange gibt es die Maison Wenger eigentlich schon?
Sie wurde 1981 eröffnet. Wir haben das Traditionshaus von den vormaligen Besitzern übernommen und führen es nun seit Januar 2019.
Wieviele Plätze haben Sie im Restaurant?
Normalerweise haben wir Platz für 50 Gäste. In Corona-Zeiten haben wir auf 40 Sitzplätze reduziert.
Haben Sie auch Hotelzimmer?
Ja, wir haben fünf Zimmer. Die werden wir in Bälde noch etwas auffrischen.
Wieviele Mitarbeiter haben Sie?
Wir sind insgesamt 25 Leute im Betrieb.
Und wie sieht es bei den Sternen und Punkten aus?
Wir haben zwei Michelin-Sterne und 17 Punkte bei GaultMillau.
Haben Sie noch weitere Auszeichnungen erhalten?
2015 gewann ich den «Prix Taittinger». Darauf war ich stolz. Davor kochte ich für einige berühmte Chefs wie Etienne Krebs, Gérard Rabaey und Anne-Sophie Pic beziehungsweise ihren Lausanner Küchenchef Guillaume Raineix. Zuletzt war ich im «Hôtel de Ville» in Crissier Sous chef von Benoît Violier und Franck Giovannini. Diese Stationen waren mir Auszeichnung genug.
In welchen Organisationen sind Sie mit der Maison Wenger Mitglied?
Wir sind bei Relais & Châteaux und Les Grandes Tables de Suisse dabei.
Was waren Ihre wichtigsten beruflichen Stationen bisher?
Da gibt es mehrere. Im ersten Restaurant nach der Lehre – das war das Le Puits Saint-Jacques in Pujaudran – habe ich gelernt, was es bedeutet, in der Haute Cuisine zu sein. Wichtig für meinen Werdegang war sicherlich auch meine Zeit bei Gérard Rabeay im 3-Sterne-Haus Le Pont de Brent in Montreux. Und natürlich meine Zeit in Crissier im ebenfalls mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Hôtel de Ville.
Was sind Ihre wichtigsten Ziele in nächster Zeit?
Das Restaurant muss laufen, und wir möchten so viele Gäste wie nur möglich bedienen und mit einem Lächeln nach Hause schicken. Der Anfang ist gemacht. Und seit der Wiedereröffnung sind wir praktisch immer ausverkauft.
In näherer Zukunft werden wir auch baulich noch etwas machen: Das Entrée wird eneuert, und auch die Zimmer frischen wir auf. Auf lange Sicht möchte ich hier auch eine Bäckerei-Konditorei eröffnen. Brot hat mich schon immer fasziniert. Das machen wir ja alles täglich selber im Restaurant.
Während des Lockdowns, als die Bäckerei schliessen musste, haben wir unser Brot an die Dorfbewohner verkauft. Als die Bäckerei wieder öffnen durfte, haben wir das natürlich wieder eingestellt. Aber auf längere Sicht möchte ich als Gegengewicht zum Restaurantbetrieb eine Bäckerei aufmachen, in der wir unsere eigenen Backwaren und unsere Pâtisserie anbieten.
Wie würden Sie Ihre Küche in drei Sätzen beschreiben?
Käse. Butter. Und viele weitere regionale Produkte.
Und Ihre persönliche Kochphilosophie?
Meine Küche ist generell sehr stark lokal geprägt. Ich möchte Werbung machen für die gesamte Region und ihre tollen Milchprodukte zum Beispiel. Ich versuche, möglichst viele Produkte aus der näheren Umgebung und von den hier ansässigen Produzenten zu beziehen und diese in meine Küche einzubauen. Ausserdem biete ich eine saisonale Auswahl an. Wichtig sind mir auch ein respektvoller Umgang mit den verwendeten Zutaten sowie eine schöne Präsentation.
Wer ist der wichtigste Mensch für Sie in Ihrem Betrieb?
Das ist meine Frau Anaëlle Roze. Sie ist meine Augen und meine Ohren. Das erlaubt mir, mich auf meinen Job zu konzentrieren und kreativ zu sein und zu bleiben. Aber es sind nicht nur Menschen, die für mich wichtig sind. Die Natur und die Umgebung spielen für mich auch eine entscheidende Rolle.
Was bereitet Ihnen bei Ihrer täglichen Arbeit am meisten Spass?
Die Abwechslung. Jeder Tag ist anders, nichts bleibt gleich. Man weiss nie, was kommt. Das liebe ich.
Und was stresst Sie am meisten?
Es gibt tatsächlich auch unangenehme Dinge. Aber ich versuche immer, diese zu überwinden, um Zeit für das Gute zu haben. Die Personalführung ist zum Beispiel etwas, was mich manchmal anstrengt. Wir haben ein sehr junges Team. Und wir selber sind ja auch noch jung. Deshalb möchten wir, dass in unserem Team eine junge Mentalität gelebt wird. Manchmal stellt sich mir die Frage, wie ich das Team in der Küche noch mehr motivieren kann. Dabei bin ich der Meinung, dass unsere Köche von sich aus motiviert sein müssten. Sie müssen eine gute Arbeit machen wollen. Ohne Druck von mir oder sonst von aussen.
Welches sind Ihre Koch-Vorbilder?
Franck Giovannini hat mich immer sehr inspiriert. Natürlich auch fachlich, aber vor allem menschlich. Wie respektvoll er mit den Gästen und den Mitarbeitenden umgeht. Und dabei keinen Unterschied macht, ob er es mit einem Lernenden oder einem wohlhabenden Stammkunden tu tun hat.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich liebe Sport. Alle Arten von Sport. Gerade eben haben wir für Anaëlle ein e-Bike bestellt, damit sie mich begleiten kann. Sport ist für mich sehr wichtig, um meinen Kopf zu lüften.
Was kochen Sie am liebsten?
Ich koche alles gerne. Aber am liebsten bereite ich das zu, was aus dem Wasser kommt. Fische, Muscheln, Krustentiere. Und Froschschenkel.
Und für wen kochen Sie am liebsten?
Für alle. Daheim kochen wir beide, meine Frau und ich. Im Moment arbeiten wir aber sehr viel und kommen kaum dazu. Aber das wird sicher wieder anders.
Welches Food Pair matcht für Sie am allerbesten?
Es gibt natürlich viele gelungene Geschmackskombinationen. Ganz klassische wie Petersilie und Froschschenkel. Oder modernere: Bei den Gästen kommt aktuell zum Beispiel unser Ei sehr gut an, das wir mit Pfifferlingen und Mandeln zubereiten.
Was ist Ihr persönliches Lieblingsgericht?
Ich liebe das panierte Schnitzel vom Hotel du Soleil gegenüber. Oder auch ein Cordon-Bleu. Ganz generell lieben wir die einfache, aber geschmackvolle Küche.
Und was Ihre Henkersmahlzeit?
Foie gras würde ich essen. Kalt und in Terrinen-Form. Und dann ab.
Welchen Geschmack/welches Gewürz mögen Sie überhaupt nicht?
Alles was bitter ist. Damit habe ich einfach Mühe. Auch Getränke, die bitter sind, trinke ich nicht.
Was ist Ihr Signature Dish (oder für welches Gericht kommen Ihre Gäste extra zu Ihnen)?
Froschschenkel. Ganz klar. Seit ich das anbiete, wird das stark nachgefragt. Und unser Ei.
Ist Ihre Küche abhängig vom Ort, an dem Sie kochen?
Ja, sehr. Das ist sehr wichtig für mich. Ich möchte von der Umgebung profitieren. Ich möchte auch die lokale Wirtschaft unterstützen. Ich kann hier ein Telefon machen am Morgen, und kurze Zeit später bekomme ich vom Bauernhof ein Ei, das noch warm ist. Die Butter kommt von einem Ort, der nur zehn Minuten von hier entfernt ist. Alles was mit Früchten und Gemüse zu tun hat, muss ich von weiter her beziehen. Aber was hier vorhanden ist, beziehen wir von lokalen Anbietern.
Möchten Sie irgendwann noch an einem anderen, ganz bestimmten (Sehnsuchts-)Ort leben und arbeiten?
Vielleicht nicht gerade leben oder arbeiten, aber nach Japan, da möchte ich unbedingt einmal hin. Wegen der Küche. Sobald die Kleine etwas grösser ist und wir sie auf Reisen mitnehmen können, werden wir wir nach Japan gehen.
Und was war Ihr allergrösstes Highlight in Ihrer bisherigen Karriere?
Die Zeit in Crissier. Das Hôtel de Ville ist ein sehr spezieller Ort. Und die Eröffnung hier in Le Noirmont war auch wunderbar.
Interview: Philipp Bitzer
Bilder: Salvatore Vinci
Maison Wenger
Rue de la Gare 2
2340 Le Noirmont
Tel. +41 (0)32 957 66 33
info@maisonwenger.ch
maisonwenger.ch
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