«Ich war der Typ, der zum Lachen in den Keller geht.»
Die Küchenkunst des Deutsch-Japaners Tohru Nakamura verbindet Europa mit Ostasien und ist ebenso komplex wie reduziert. Bis Anfang des letzten Jahres ging es für den gebürtigen Münchner rasant bergauf: zwei Sterne, 19 Punkte, «Koch des Jahres» 2020 in Deutschland. Dann kam Corona und veränderte alles.
Im Jahr 2010 sind wir uns in der Küche des legendären Oud Sluis von Sergio Herman in den Niederlanden begegnet, damals mit drei Sternen und 20 Punkten ausgezeichnet. Für mich waren es 14 Gänge und fünfeinhalb Stunden Genuss. Ich möchte mich nachträglich für diesen Abend bedanken.
Sehr gerne. Wobei, ich war ja erst wenige Monate zuvor angekommen. Ich musste damals erst noch Fuss fassen, mich akklimatisieren und an die handwerklichen Gegebenheiten und Abläufe gewöhnen. Erst als ich eine gewisse Routine und Schnelligkeit entwickelt hatte, konnte ich auch wirklich kreativ werden und mitgestalten.
Das Tempo und der Rhythmus im Oud Sluis waren enorm.
Viel Arbeit, wenig Schlaf. Von Mittwoch bis Sonntag von morgens halb acht bis nachts um drei. Das war schon brutal und für mich wie ein langer Arbeitstag, der fünf Tage dauerte. Und dann 48 Stunden frei. Da musstest du klar bleiben im Kopf. Und wenn du das Gefühl hattest, nicht mehr runterfahren zu können, musstest du besonders aufpassen, denn dann konnte es gefährlich werden. Wenn dich zum Beispiel auch an den freien Tagen die Fehler beschäftigten, die in der Küche passiert waren, die den Gast aber trotzdem erreichten, obwohl sehr viele Augen jeden Teller kontrollierten.
Wie gehst du heute mit Fehlern um?
Sie passieren. Und das wird auch so bleiben. Das ist menschlich. Das Gute ist ja, dass wir am nächsten Tag die Chance bekommen, uns wieder neu beweisen zu können. Es sind neue Gäste da. Der Fehler des Vortages hat keine Auswirkung mehr.
Welches war der krasseste Fauxpas, der dir je passiert ist?
Das war 2004. Ich hatte gerade meine Ausbildung im Königshof in München begonnen. Die Kochlegende Eckart Witzigmann hatte sich angekündigt, und unser Küchenchef Martin Fauster hatte extra ein grandioses Spezialmenü für ihn geschrieben. Wenn so ein Hochkaräter kommt, muss alles passen. Die Anspannung war gross. Die Milchlammschulter für den Hauptgang war schon fertig und wurde im Ofen bei leicht geöffneter Tür warm gehalten. Ich hatte aber Bedenken, dass das Brot für den Mittagsservice nicht reichen könnte und wollte etwas nachbacken. Ohne noch einmal in den Ofen zu gucken, knallte ich die Tür zu und drehte ihn auf 200 Grad hoch.
Das Ergebnis war schwarze Schulter.
Es war noch kein Brikett, aber deutlich dunkler, als gedacht. Ein monumentaler Fehler natürlich. Mir rutschte das Herz in die Hose. Da konnte ich auch nichts mehr machen oder vertuschen. Zum Glück konnten wir es dennoch servieren.
Gibt es Momente, in denen du richtig laut werden kannst?
Früher, als ich als Küchenchef anfing, noch häufiger. Ich machte mir damals immer selber grossen Druck und war extrem ernst und verbissen. Ich war der Typ, der zum Lachen in den Keller geht. Mit der Zeit aber bin ich selbstsicherer geworden. Heute vertraue ich mir und meinem Können mehr. Und ich weiss auch, dass ich dem Gast nicht mehr krampfhaft alles zeigen muss, was ich kann. Das ist aus meiner Sicht noch immer eine Falle, in die viele junge Köche tappen. Heute gibt es sehr viel weniger laute Momente und ich frage mich: Passieren weniger Fehler oder gehe ich mit den Fehlern anders um? Wahrscheinlich beides.
Bist du pingelig oder gar pedantisch am Arbeitsplatz?
In der Küche muss für mich eine grosse Klarheit herrschen. Es macht mich extrem nervös, wenn meine Vorstellungen durchbrochen werden, wenn meine Arbeitsstruktur nicht mehr stimmt. Das Schneidebrett und das Messer müssen zum Beispiel immer gleich liegen. Das war schon immer so bei mir. Und in manchen Momenten nerve ich mich da auch selber. Die meisten Köche können in einem leichten Chaos erst einmal fertig arbeiten und trotzdem effizient sein, ich dagegen muss den letzten Krümel wegwischen und alles aufräumen, ehe ich weitermachen kann. Mit meinem Perfektionismus und Ordnungsfanatismus habe ich meine Frau sogar mal so sehr zur Verzweiflung gebracht, dass sie meinetwegen fast gekündigt hätte. Wir hatten damals zusammen gearbeitet, bevor wir ein Paar wurden.
Wie fühlt es sich an als Koch in Corona-Zeiten?
Es ist – wie für fast jeden – eine extrem schwere Zeit. Ich darf nicht das machen, wofür ich brenne. Ich kann meine Leidenschaft nicht ausleben. Ich will ja nicht nur an neuen Gerichten arbeiten, sondern vor allem für Gäste kochen und unter Menschen sein. Ich habe sogar kurz überlegt, ob ich nicht etwas ganz anderes machen soll. Ich habe vieles hinterfragt: Soll es Kochen bleiben oder nicht? Soll es München bleiben oder nicht? Ich wollte aber nichts überstürzen und ganz in Ruhe entscheiden. Und dann passierte das Wunder.
Du hast mit dem Salon rouge ein Pop-up-Gourmet-Restaurant gestartet.
Es war völlig verrückt. Der Besitzer des Gasthauses in der Münchener Innenstadt sagte mir, dass er keinen Koch mehr hätte. Ich sagte ihm, dass wir kein Restaurant mehr hätten. Und dann ging alles ganz schnell. Schon Anfang Oktober eröffneten wir. Gleich am ersten Tag hatten wir 400 Reservierungen. Und in nur zwei Wochen waren wir für die geplanten sechs Monate ausgebucht. Doch dann kam der nächste Lockdown.
Wie sehr zerrt das an deinen Nerven?
Es war extrem deprimierend, etwas Neues anzufangen und dann gleich wieder schliessen zu müssen. Doch die Gespräche sind nun so weit, dass wir wohl auch in Zukunft hier weitermachen könnten. Wann das sein wird, weiss nur Corona.
Interview: Oliver Lück
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