«So, darf ich euch bitten?»
Hummus zu Hause, Sushi bei der Arbeit: So sehen die kulinarischen Welten des Amit Shama aus. Der Gründer von Kai Sushi zeigt, wie er selbst kocht, und erzählt, was sich für ihn gerade wie ein Schlag in die Magengrube anfühlt.
Auf dem Glaskeramik-Herd brutzelt das Öl in der Pfanne, das Rüstmesserkommt in die Geschirrspülmaschine, aus dem Kühlschrank holt Amit Shama Apéro-, Getränke. Die kleine, offene Küche gehört zum Herz seiner Marex-Yacht. Das Wohlstands-Bijoux eines Sushi- Verkäufers? Nein. «Das Boot ist der Ort, an dem ich noch komplett selbst der Gastgeber bin», erklärt der Chef von Kai Sushi. Mit mittlerweile vier Standorten in der Stadt besitzt der Israeli die grösste Sushi- Kette in Zürich.
«Nach 13, 14 Jahren Kai Sushi spürte ich dieses Verlangen, wieder ein dynamischer, direkter Gastgeber zu sein. Den Vibe der Gäste auf dem Boot zu spüren.» Also rief er das Kai Boat ins Leben. «‹Da habe ich euch ein paar Pool- Snacks zubereitet.› Wenn ich das sage und einige Häppchen aufs Deck bringe – diese Stimmung zu erleben, da geht mein Herz auf. Oder wenn ich die Gäste nach dem Essen frage, ob sie die Petits Fours und den Kaffee draussen zum Sonnenuntergang geniessen möchten. Solche Momente geben mir viel zurück.»
Shama wächst in der Hafenstadt Haifa auf. Tomate, Kürbis, Kichererbsen, Bohnen und deren Düfte kommen ihm in den Sinn, wenn er an die Kindheit denkt. «Und natürlich Fisch und frische Kräuter.» Zu Hause kochen der Vater, der aus Ägypten stammt, und die marokkanische Grossmutter.
«Bei meinem Vater waren es gefüllte Weinblätter, gefüllte Zucchetti. Bei der Grossmutter war es Hamin, ein sefaradisches Eintopfgericht, das über Nacht schmort, donnerstags gab es immer Couscous.
An einem anderen Tag bereitete sie stets Hackfleischplätzchen mit grünen Bohnen in Tomatensauce zu.» Als Enkel weiss er so immer, an welchem Tag er seine Oma besuchen sollte. Und egal zu welcher Tageszeit: Zuerst gibt es heissen Tee mit Trockengebäck und dann eine warme Mahlzeit. «Wer so aufwächst, muss Essen ja lieben.»
Warum dann Sushi und nicht israelische Küche? «Letztere war in der Schweiz vor 15 Jahren noch nicht etabliert. Aber es gibt eine klare Verbindung zwischen den beiden Küchen: das Einfache.» Bei Amit Shama gibt es kein Schnickschnack, keine Geheimzutaten. «Du siehst: Bislang habe ich Knoblauch, Hummus, Tahina und ein wenig Salz verwendet.»
Er zeigt auf die Schüssel, in der er sein Hummus Masabaha zubereitet. «Umso präziser muss man mit den verwendeten Zutaten umgehen. Sei dies beim Sushi-Reis oder bei den Kichererbsen für den Hummus.»
Die Kichererbsen («Sie sind neun Millimeter gross, diese Grösse gibt es in der Dose nicht») holt er in einem türkischen Lebensmittelgeschäft, weicht sie für mindestens 24 Stunden ein, wechselt das Wasser zweimal. «Einmal während des Einweichens, einmal vor dem Kochen. So beseitige ich die Stoffe, die zu Blähungen führen.» Beim Hummus setzt er auf ein libanesisches Produkt.
Und das derzeitige Bild, das viele in der Schweiz von Israel haben? «Nicht nur wie eine Ohrfeige, sondern wie ein Schlag in die Magengrube fühlt es sich an», sagt Shama mit ernstem Blick. Eine Hand ist zur Faust geballt, mit der anderen mörsert er Kichererbsen.
«Es schneidet mir regelrecht die Luft ab.» Er, der leidenschaftliche Gastronom, und sein Land stehen doch eigentlich für Offenheit, für Lebensfreude, für das Zelebrieren von gutem Essen in grosser Gesellschaft. «Bei meiner Grossmutter daheim nahmen wir die Tür jeweils aus der Angel, damit alle an der grossen Tavolata Platz nehmen konnten.»
Zuletzt wurde Amit Shama von einem amerikanischen Paar im Restaurant bedrängt, als dieses am Nebentisch sitzend bemerkte, wie die Familie Shama sich auf Hebräisch unterhielt. «Dabei sollte Essen eigentlich ein verbindendes Element sein.»
Gastgeber zu sein, gutes Essen zuzubereiten – das ist Shamas grosse Passion. Als Teenager arbeitet er in Restaurants, assistiert beim Kochen, hilft beim Abwasch.
Nach der Zeit in einer Spezialeinheit des Militärs zieht er in die Schweiz und arbeitet als Sicherheitsangestellter für die jüdische Gemeinde in Zürich. Hier verliebt er sich in seine heutige Ehefrau und träumt vom eigenen Restaurant.
Zweimal scheitert er an der Aufnahme zur Hotelfachschule Zürich an seinen damals noch ungenügenden Deutschkenntnissen. Das International Hotel Management Institute in Luzern lässt seinen Traum weiterleben. Zwischen den Semestern arbeitet er in Restaurants und Hotels, um die Studiengelder zu verdienen, während des Semesters als Nachtportier.
Als Shama die Ausbildung 2005 abschliesst, will er sich selbständig machen. «In den Praktika sagte man mir stets, ich sei langsam und unstrukturiert, ich verbringe zu viel Zeit beim Gast. Aber das entspricht nun mal meiner Gastgeberphilosophie. Ich musste mein eigenes Ding durchziehen.»
Heute betreibt Shama vier Sushi- Restaurants an Zürichs besten Lagen. Er probiert sein Hummus Masabaha, bei dem ein Teil der Kichererbsen ganz bleibt, was zu einem spannenden Spiel der Texturen führt. Ein klassischer Dip der levantinischen Küche. «Fehlen nur noch Zitrone und Kreuzkümmel.»
Kochen nach Rezept? Kennt er nicht. «Ich weiss einfach, wie es meine Grossmutter gemacht hat. Und abschmecken lernt man nicht aus dem Kochbuch.» Die nächsten Kichererbsen seien zu Hause schon eingeweicht. «Der Aufwand ist nicht gross, aber wer nicht von jetzt auf gleich kochen möchte, muss diese Prozesse halt in seinen Tagesablauf integrieren. Es lohnt sich.»
Amit Shama liebt die Rolle des Gastgebers. Während der kontaktarmen Covid-Zeit liefert er Bestellungen höchstpersönlich aus. Seit kurzem ermöglicht ein QR-Code auf der Quittung, nach dem Besuch im Kai Sushi direkt mit dem Chef in Kontakt zu treten. «Kollegen warnten mich davor, aber die ersten Erfahrungen sind sehr gut. Und die Reklamationen beantworte seit jeher ohnehin ich selbst.»
Eine Kritik hier, ein Lob da, Petits Fours aufs Deck seiner Yacht servieren – zu Hause ist Shama gerne en famille. «Meine Batterie für Smalltalk ist dann aufgebraucht, dann sind wir gerne unter uns. Im Kreis der Familie zu essen, ist mir so wichtig. Das ist der Moment, an dem mir die Kinder von ihrem Tag, von ihrem Leben erzählen.
Wo wir uns Zeit füreinander nehmen. Der Freitagabend ist uns heilig. Wir sind keine religiösen Juden, aber da singen wir stets ein Lied, das den Sabbat einläutet, und irgendwie hat dieser Abend eine eigene Magie. Meine Tochter darf gerne nach dem Essen ausgehen, aber sie plant nicht auf eine bestimmte Uhrzeit.»
Durchgeplant sind dagegen die Wochentage. Mindestens einen halben Tag pro Woche verbringt Shama nach wie vor in jedem Betrieb. «Da treffe ich den Restaurantleiter, Mitarbeiter können mich direkt ansprechen, ich nehme die Stimmung im Betrieb wahr. Am Montag besuche ich jedes unserer vier Restaurants und treffe da die stellvertretenden Betriebsleiter. Ich will auch wissen, wie sie funktionieren und arbeiten.»
Es ist noch immer dieselbe alte Leidenschaft, die ihn antreibt. «So, darf ich euch bitten?», fragt er mit einem Lächeln auf den Lippen. Quasi unbemerkt hat er vier Häppchen zubereitet. Die Sonne strahlt sie an, als Shama die Schälchen gekonnt aufs Deck balanciert. «Beteavon», wünscht er. En Guete auf Hebräisch.
Amit Shamas Rezepte für Hummus Masabaha, Pita-Pizzabrot und Baba Ganoush finden Sie in der aktuellen Marmite-Ausgabe.
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