Jeder Gang ein Feuerwerk 

9. August 2024

Stefan Heilemann und sein Team kennen nur eine Richtung: vorwärts. Auch im vierten Jahr nach seinem Wechsel ins Widder Hotel wird der Gault-Millau- Koch des Jahres 2021 noch immer besser. Viele seiner Gerichte bestehen in der Grundstruktur zwar schon längere Zeit, doch Heilemann feilt so leidenschaftlich an ihnen, dass sie jedes Mal von Neuem ein Erlebnis sind.

Die Variation vom Balfegò-Thunfisch mit Rettich und herrlich erfrischender Kräutersauce etwa hat der Chef um pochierte Austern und eine geschmeidige Vitello-tonnato-Sauce ergänzt. Deren Geheimnis: wohl dosierte Säure, Champagner- und Bonitoessig sei Dank. Der Tuna ist in feine Scheiben geschnitten, unten der Rücken, oben der Bauch mit seinem einzigartigen Schmelz. Als Krönung des luxuriösen Gerichts gibt’s eine grosszügige Nocke Oscietra-Kaviar vom langjährigen Partner Prunier. 

Die Salzzitrone, eine von Heilemanns Lieblingszutaten, begleitet im beschwingten Frühlingsmenü ein meisterhaft gebratenes, ordentlich dickes St-Pierre-Filet aus den kühlen Gewässern an der Algarve. Weitere Elemente auf dem Teller: Morcheln der Qualitätsstufe 1a und eine mit Bärlauch verfeinerte Beurre Blanc. Nicht nur Basel hat mit Peter Knogl einen Saucenkönig, sondern auch Zürich in der Person von Stefan Heilemann. Ganz besonders stellt der Widder-Küchenchef das bei seinem Signature Dish unter Beweis: Kaisergranat mit Tom-Yam-Sauce, Erbsen und konfierten Cherrytomaten. Die Schärfe ist perfekt ausbalanciert, die Kaffirlimette sorgt für ätherische Frische. Eine Kreation, die in jedem 3-Sterne-Lokal zu den Stars im Menü gehören würde. 

Vor dem Hauptgang haben wir uns bei Stefan Heilemann in der Vergangenheit bisweilen ein wenig gefürchtet. Weil der Chef die ihm angeborene Freigiebigkeit nicht immer im Zaum halten konnte und die an sich tadellosen Gerichte gar üppig gerieten. Diese kleine Schwäche scheint nun aber behoben. Das japanische Wagyu A5+ mit gebratener Entenleber, badischem Spargel, kraftvollem Trüffeljus und einer mehr als grosszügigen Portion Périgordtrüffel ist nicht nur in der Zubereitung perfekt, sondern auch in der Portionierung. Die Gefahr, dass das Fett des Wagyus zu sehr sättigen könnte, beseitigt Heilemann durch die Wahl des Cuts. Anstelle des Entrecôtes verwendet er nun das weniger stark marmorierte Filet. 

Um dem Eindruck entgegenzuwirken, Heilemann brauche die von ihm sehr geschätzten Luxusprodukte, um zu brillieren, möchten wir die Amuses Bouches nicht unerwähnt lassen. Sowohl die mit gezupftem Entenfleisch an grünem Curry gefüllten Bao Buns als auch das Lachsforellen-Ceviche mit Quinoa, Passionsfrucht und Süsskartoffel-Crackern würden auch als vollwertige Gänge durchgehen. 

Die Desserts sind bei André Siedl in den besten Händen. Der stille Künstler – er gehörte 2015 schon zur Eröffnungsbesetzung im Ecco Zürich – findet stets die richtige Mischung aus erfrischend und behaglich wirkenden Komponenten. Ein grossartiges Beispiel: die als erster süsser Gang servierte Kombination von Nussbutter (als Glace und Crème) mit Joghurt, Haselnuss und säuerlich-knackigem Rhabarber. Fast noch besser finden wir das luftige, wohltuend dezent gesüsste Cheesecake-Soufflé mit Kalamansi-Sorbet und einem dezidiert säuerlichen Ragout von Jostabeeren. Der Service wird auch nach dem Abgang von Sommelier und Restaurantleiter Stefano Petta, der zum Weindirektor des Living Circle aufgestiegen ist, erstklassig bleiben. Jedes Teammitglied – ob an der Front oder in der offenen Küche – erfüllt seine Aufgabe mit spürbarer Freude. Ebenfalls ein Verdienst von Stefan Heilemann, der im ganzen Land als äusserst angenehmer und wertschätzender Chef bekannt ist. 

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